Die Arbeiten des Fotografen und Filmemachers Jan Dirk van der Burg zeigen Trampelpfade: schmale und unbefestigte Wege, die dadurch entstehen, dass sie wieder und wieder begangen oder befahren werden. Sie folgen den organischen Bewegungsabläufen von Menschen, die sich fußläufig oder mit dem Fahrrad durch die Welt bewegen. So werden die am Reißbrett scharf und klar umrissenen Räume der Infrastruktur- und Stadtplanenden infrage gestellt. Trampelpfade stehen hier für Widerstand, für kleine Gesten des zivilen Ungehorsams. Sie wehren sich gegen einen Ordnungs- und Gestaltungswillen, der sich über alles stülpt und doch im täglichen Gebrauch keinen Sinn macht. Sie entstehen da, wo die Planenden der immer noch autogerechten Welt nicht mit Menschen gerechnet haben, die ihren eigenen Kopf haben.
Wunschrouten
Platz machen
Vor etwa 16 Jahren finden zwei Skater ein Stück Land im Gewerbegebiet Hannover-Linden verwaist vor. Sie beginnen aufzuräumen und einen kleinen Skatepark anzulegen. 2009 formieren sie sich als Verein, handeln einen Zwischennutzungsvertrag mit der Eigentümerin aus und schließen einen heute noch gültigen Pachtvertrag über 1 Euro pro Jahr ab. 2013 formiert sich dann ein weiterer Verein: Platzprojekt verfolgt das Ziel, Raum für Initiativen zu schaffen, einen Ort zur Selbsthilfe, zur gegenseitigen Unterstützung mit Wissen, Werkzeugen und handwerklicher Arbeit. Forschungsmittel und staatliche Fördergelder ermöglichen den Aufbau längerfristiger Beteiligungsstrukturen für junge Menschen, die in selbstorganisierten Räumen über ihre Städte diskutieren und diese aktiv mitgestalten möchten.
Eine Stadt wird versetzt
Die kleine Stadt Kiruna in Schweden mit ihren knapp 18 000 Menschen soll verschoben werden. Grund dafür ist eine Eisenerzgrube. Durch das Aushöhlen der Erde könnte die Stadt einbrechen. Es wurden Pläne entwickelt, die das teilweise Abtragen und teilweise Wiederaufbauen der Häuser an einem etwa drei Kilometer entfernten Ort vorsehen. Bis zum Jahr 2033 soll dieser ungewöhnliche Umzug abgeschlossen sein. Viele, so auch die Stadtverwaltung, sehen die auf dem Reißbrett entwickelte Stadt als möglichen Neuanfang. Doch nicht alle sind froh über die Planungen, die so eng an die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens gekoppelt sind. Was wäre zum Beispiel, wenn der Weltmarktpreis für Eisenerz fallen würde und die begonnene Verlagerung von Kiruna nicht vollständig umgesetzt werden kann?
Gelebter Raum
Larissa Fassler baut und zeichnet Raum. Doch nichts ist hier maßstäblich geordnet oder aufgeräumt. In den großformatigen Zeichnungen von Städten führt sie uns vor, was wir erleben, wenn wir über Straßeninseln laufen, durch Unterführungen und Passagen gehen oder in Hauseingänge hineinschauen. Die Künstlerin überlagert den gebauten Raum mit dem, was durch Aneignungen hinzukommt. Sie beobachtet und begeht den Raum immer wieder, sammelt und kartiert Gefundenes. So auch bei ihrer Arbeit Kotti (revisited). Die vielen Fragmente, die hier übereinander geschichtet liegen, erzählen Geschichten von einem komplexen Raum, der ganz selbstbewusst und entschieden sagt: »Ich bin Stadt. Weder bin ich leicht zu ordnen noch zu planen. Und ich werde mich wehren, wenn meine Vielschichtigkeit in Frage gestellt wird.« Planung, so das große bunte Bild, muss sich um all das kümmern, mit dem gelebten Raum arbeiten statt gegen ihn. Denn wo soll diese Stadt hin, wenn sie hier weg muss?
Vom Versuch, einen Platz zu erfassen
Überwachungskameras gehören mittlerweile zum Bild vieler Städte. Doch Kameras sind keinen neutralen Begleiter: Alles geht in diese Geräte rein, wird übertragen, von irgendwelchen Menschen irgendwo an einer anderen Stelle angesehen, ausgewertet, aufgearbeitet, analysiert und dokumentiert. Was noch alles? Wir wissen es nicht genau, denn viel davon wird unter Verschluss gehalten. Der Künstler Kyle McDonald will verstehen, wie uns diese neuen Technologien betreffen oder beeinflussen. Dafür stellt er Videoaufnahmen von öffentlichen Plätzen ins Netz und offenbart damit das, was sonst nur andere sehen. Alle können das Gesehene online kommentieren: Begegnungen, Streit, Regen, Sonne. Die Menschen werden zu Objekten der Unterhaltung, teils Belustigung. McDonald macht damit sichtbar, wie diese allgegenwärtige mediale Aufrüstung ethische Fragen, warum wer was und wie so sehen darf, schnell in den Hintergrund rücken lässt.
Kritische Masse für Freiheit und Bewegung
Jeden letzten Freitag des Monats treffen sich Radfahrende, sowohl in Metropolen als auch in kleineren Städten, um—in Kolonne und als schiere Masse—die Straßen einzunehmen, regelrecht zu besetzen. Das Prinzip der kritischen Masse nutzt dabei eine Regel der Straßenverkehrsordnung, nach der ein Verband aus mindestens zwölf Radfahrenden als Fahrzeug zu betrachten ist und somit auch geschlossen über eine rot werdende Ampel fahren kann. Wer vorn radelt, bestimmt mit, wo es lang geht. Aufmerksamkeit wollen die Radfahrenden darauf lenken, dass die autogerechte Stadt des letzten Jahrhunderts an vielen Orten bis heute gefährliche Realität ist. Critical Mass ist damit ein friedliches und solidarisches Protestradeln gegen die Hegemonie des motorisierten Verkehrs in Stadtplanungen weltweit.
Rundumservice für urbane Mobilitätsbedürfnisse
Whim ist ein Konzept, das Mobilität für die wachsende Metropolregion Helsinki komplett neu denken soll. Es ist ein Projekt, das als Ergebnis von breit gefächerten Kooperationen zwischen Beteiligten aus der freien Wirtschaft, den Universitäten und dem öffentlichen Sektor entstanden ist. Die Idee: ein digitaler Rundumservice für die komplexen Fortbewegungsbedürfnisse aller Stadtnutzenden. Die Umsetzung: eine universelle Anwendung für Smartphones. Diese soll die Nutzung von vielen unterschiedlichen, vor allem geteilten oder nachhaltigeren Verkehrsangeboten einfacher, intuitiver und günstiger machen. Das unmittelbare Ziel: die Entscheidung für den öffentlichen Nahverkehr so attraktiv wie möglich zu machen. Langfristig geht es um die Abschaffung des privaten Autos.
Wie Wohnquartiere autofrei werden
In Barcelona wurde der Superblock—ein von großen Straßen begrenztes Stadtgebiet, das sich aus mehreren kleineren Stadtblöcken zusammensetzt—in den letzten Jahren neu erfunden. Er verspricht damit Lösungen für durch motorisierten Verkehr höchst emissionsbelastete Städte. Durch eine Verminderung der Verkehrsdichte soll aber auch der öffentliche Raum aufgewertet und existierende Nutzungen verstärkt oder neue möglich gemacht werden. In Barcelona sind mittlerweile sechs solche Superblocks realisiert worden. Befürchtungen, dass aufgrund der Verkehrsberuhigung der Einzelhandel leiden könnte, haben sich nicht bewahrheitet. Stattdessen hat sich die Anzahl der Wege, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad unternommen werden, erhöht. Die Luftqualität hat sich verbessert. Mittlerweile wird das Modell auch in anderen Städten getestet. Überall zeigt sich das Potenzial der räumlichen Organisation aus Sicht fußläufiger statt autofahrender Menschen.