Gefängnisreformen, faire Länderhaushalte, Gerechtigkeit für Eingewanderte, die adäquate Bestimmung von Steuerlasten, die Aufhebung von Rassentrennung in Schulen, das Bekämpfen von Korruption oder das Hinterfragen von polizeilichen Überwachungen von Bevölkerungsschichten—all das sind Themen für das Centre for Artistic Activism (C4AA). Die Besonderheit ihrer Arbeit liegt dabei in der Verknüpfung von Methoden und Formaten der Kunst und sozialer Bewegungen. In Workshops, Seminaren, Sommerakademien und weiteren Programmen diskutieren sie mit Kunstschaffenden genauso wie Menschen, die vorrangig in sozialen Bewegungen aktiv sind, die Beweggründe und Arbeitsweisen der jeweils anderen Gruppe. Damit sollen Forderungen geschärft und Handlungen präziser organisiert werden. Alles andere, so die Gründer der Organisation, sei ein strategischer unverzeihlicher Fehler.
Kunst und Aktivismus
Dem Recht auf Stadt Gehör verschaffen
Der Chor der Statistik wurde 2019 gemeinsam von der Musikerin Bernadette La Hengst und dem experimentellen Architekturkollektiv raumlaborberlin gegründet. Über einen öffentlichen Aufruf fanden sich Menschen zusammen, die singend die Herausforderungen von Stadtentwicklungsprozessen thematisieren wollen. Konkreter Anlass für die Etablierung dieses Chores war das Modellverfahren um das Haus der Statistik in Berlin. Die gemeinsam entwickelten Lieder stellen Fragen und thematisieren Ängste. Sie formulieren aber auch Forderungen. So singt der Chor über Verdrängung und vom Recht auf Stadt, er benennt Probleme wie Mietpreissteigerungen und die Privatisierungen von Raum. Das gemeinsame Singen und öffentliche Auftreten sind dabei Protest und Demonstration zugleich. »Für eine bessere Zukunft!« sagt die Chorleiterin, den Taktstock hebend.
Ein Refugee-Hotel im Herzen Athens
Das City Plaza Hotel im Athener Stadtteil Victoria stand lange leer. Im April 2016 besetzte eine Initiative das ehemalige Hotel gemeinsam mit gestrandeten Flüchtenden aus dem Irak, Afghanistan, Syrien und vielen anderen Orten. Sie verwandelten das Gebäude mit seinen 126 Zimmern in ein Wohnhaus und verwalteten es selbst. In dem Projekt wurde gezeigt, wie ökonomische und politische Solidarität mit Flüchtenden praktiziert werden kann. Damit war es auch ein Zentrum für den Kampf gegen Rassismus, Grenzen, repressive Migrationspolitiken und soziale Exklusion. Nach 36 Monaten kam das Experiment 2019 zum Ende. Trotz der Kürze der Projektdauer, stehen das Gebäude im Zentrum Athens und die Aktivitäten, die sich dort entfaltet hatten, maßgeblich für Themen, die für uns alle—und nicht nur in Krisen—von Bedeutung sind.
Vielfalt in der Clubkultur
Das junge Berliner Kollektiv No Shade versucht, die Musik- und Clubszene nachhaltig zu verändern. So soll, zum Beispiel durch die Ausrichtung einer regelmäßig stattfindenden Clubnacht sowie einer Reihe von Ausbildungsprogrammen, die Repräsentation von weiblichen, non-binären und trans DJs sowie visuellen Kunstschaffenden in der Clubszene erhöht werden. Auch will das Kollektiv die unterschiedlichen communities, crews und Feiernden besser miteinander vernetzen und solidere Strukturen aufbauen. Denn diese Strategien, Netzwerke, Auffangmechanismen und Werkzeuge sind wesentlich, um die teils fragilen, oft prekären, häufig isolierten und meist parallel existierenden Systeme am Leben zu halten und durch die Bildung von solidarischen Momenten weiter zu stärken.
Kolonialen Geschichten auf der Spur
Seit etwa fünf Jahren gibt es in Amsterdam ein Archiv, das verborgene und selten erzählte, ausradierte genauso wie unterdrückte Stimmen und Geschichten (wieder) sichtbar machen will. Aufbauend auf dem Nachlass des in Surinam geborenen Sozialwissenschaftlers Waldo Heilbron ist ein Zentrum für (post)koloniale Geschichte entstanden. Hier wird hegemoniale und aus Europa heraus erstellte Geschichtsschreibung um Aspekte, Daten und Fakten erweitert, die ein multiperspektivisches Bild globaler Entwicklungen über die letzten 400 Jahre zeichnen. Als Ort des Sammelns, Forschens, Vermittelns und Produzierens von Wissen demonstriert The Black Archives, wie Geschichte anders ausgerichtet und Schritt für Schritt um eben jene fehlenden und unterdrückten Stimmen ergänzt und erweitert werden kann.
Eine Modellstadt aus Erinnerungen und Träumen
Dass die hier versammelten Häuser zusammengewürfelt wirken, kommt daher, dass es die einzelnen Gebäude, so wie sie da stehen, zum Teil gar nicht als gebaute Strukturen gibt. Sie sind Abbildungen von Erinnerungen, die sich mit Visionen von einer zukünftigen Bleibe mischen. Gebaut von Geflüchteten aus dem Iran, Syrien, Marokko und Pakistan, entstand die Weltstadt, wie das Projekt heißt, zusammen mit dem Berliner Verein Schlesische27 und anderen Organisationen. Diese Global City der anderen Art ist Spekulation und Traum: über eine Zukunft ohne Grenzen, über Stadt als dialogischer Prozess und Vielstimmigkeit, von der wir heute noch immer zu wenig haben.
Initiative für eine kooperative Stadt der Zukunft
Flughafengebäude Tempelhof: 312 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche. Betoniertes Vorfeld: 236 000 Quadratmeter. Das Tempelhofer Feld: riesige 355 Hektar. Seit zwölf Jahren schon ist der Flugbetrieb eingestellt, seit 2009 sind die Gebäude inklusive Flugfeld im Besitz des Landes Berlin. Seitdem: Diskussionen und Prozesse darüber, was mit dieser kolossalen Fläche nun gemacht werden soll. Das Kollektiv, das seit 2018 das ehemalige Torhaus des Flughafens bespielt, fordert mit vielen anderen zusammen, dass Gemeinwohlorientierung im Vordergrund stehen muss: Das Ganze soll »enkel*innentauglich« sein. Das heißt: Die Stadt der Zukunft zu machen, neue mögliche Imaginarien zu entwickeln bedeutet nicht nur, mit Respekt für Menschen und Nicht-Menschen zu planen, sondern auch planetenverträglich.
Stadt auf Probe
Die Stadt Görlitz ist durch Abwanderung seit den 1990er Jahren um ein Viertel ihrer Einwohnenden geschrumpft. 2008 wagen eine Forschungsgruppe der TU Dresden und die Stadtverwaltung Görlitz ein Experiment, um neue Menschen in die Stadt zu locken. Temporäres Wohnen in Görlitz soll die Qualitäten und Potenziale dieses Ortes offenbaren. Probewohnen, Stadt Erleben, Stadt auf Probe—mittlerweile läuft die vierte Auflage des Experiments. Interessierte können das Wohnen in der Stadt ausprobieren und die Netzwerke im Kultur- und Jugendbereich kennenlernen. Sie können gemeinschaftliche Arbeitsplätze und Werkstätten nutzen und so direkt neue soziale und berufliche Perspektiven ausloten.
Ein Modellprojekt für die Integration von Geflüchteten
Der ehemalige Bürgermeister Domenico »Mimmo« Lucano der süditalienischen Gemeinde Riace war Mitbegründer des Vereins Città Futura—Stadt der Zukunft. In Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen nahm er Geflüchtete aus Afghanistan, dem Irak, Eritrea, Palästina und dem Libanon im Ort auf. Staatliche Subventionen wurden in die Infrastruktur des Ortes investiert, der—so sagen das heute viele—ohne die neuen Bewohnenden wohl ausgestorben wäre. Gemeinsam mit den Ansässigen wurden verlassene Häuser wieder instand gesetzt. Auch wurden die Neuankömmlinge in lokale Traditionen—das Herstellen von Glas, Keramik und Stickereien—eingeführt. Doch von Anfang an gab es Widerstand gegen das als eigenwillig angesehene Vorgehen, der das Projekt schließlich vor wenigen Jahren zum Scheitern brachte. Lucano wurde Amtsmissbrauch vorgeworfen. Er musste Riace verlassen. Mittlerweile ist er zurück und schmiedet neue Pläne.