Bildliche Gespräche nennt Olalekan Jeyifous seine teils dystopisch anmutenden Collagen, die sich kritisch mit städtischen Transformationsprozessen auseinandersetzen. Mit der Übersteigerung existierender Situationen will er die Sichtbarkeit derjenigen Menschen und Siedlungen erhöhen, die in Planungen oft kein Gehör finden und urbanen Entwicklungsschüben zum Opfer fallen. Er beleuchtet die Verquickungen von hegemonialen Strukturen, zeigt auf, wie Architektur die Machtstrukturen kolonialistischer Ideologien verstetigt und dann selbst Munition im Arsenal von kolonialer Macht wird. Diese unterschiedlichen Perspektiven und Erzählstränge finden wir auch in dieser Collage der europäischen Stadt wieder. Nach der systematischen Ausbeutung ihrer Kolonien steht sie hier selbst als kolonisiertes Gebilde da, das nicht nur von diesen Systemen erzählt, sondern auch von grüneren Zukünften und Geschichten.
Eine Afrofuturistische Vision
Wunschrouten
Die Arbeiten des Fotografen und Filmemachers Jan Dirk van der Burg zeigen Trampelpfade: schmale und unbefestigte Wege, die dadurch entstehen, dass sie wieder und wieder begangen oder befahren werden. Sie folgen den organischen Bewegungsabläufen von Menschen, die sich fußläufig oder mit dem Fahrrad durch die Welt bewegen. So werden die am Reißbrett scharf und klar umrissenen Räume der Infrastruktur- und Stadtplanenden infrage gestellt. Trampelpfade stehen hier für Widerstand, für kleine Gesten des zivilen Ungehorsams. Sie wehren sich gegen einen Ordnungs- und Gestaltungswillen, der sich über alles stülpt und doch im täglichen Gebrauch keinen Sinn macht. Sie entstehen da, wo die Planenden der immer noch autogerechten Welt nicht mit Menschen gerechnet haben, die ihren eigenen Kopf haben.
Platz machen
Vor etwa 16 Jahren finden zwei Skater ein Stück Land im Gewerbegebiet Hannover-Linden verwaist vor. Sie beginnen aufzuräumen und einen kleinen Skatepark anzulegen. 2009 formieren sie sich als Verein, handeln einen Zwischennutzungsvertrag mit der Eigentümerin aus und schließen einen heute noch gültigen Pachtvertrag über 1 Euro pro Jahr ab. 2013 formiert sich dann ein weiterer Verein: Platzprojekt verfolgt das Ziel, Raum für Initiativen zu schaffen, einen Ort zur Selbsthilfe, zur gegenseitigen Unterstützung mit Wissen, Werkzeugen und handwerklicher Arbeit. Forschungsmittel und staatliche Fördergelder ermöglichen den Aufbau längerfristiger Beteiligungsstrukturen für junge Menschen, die in selbstorganisierten Räumen über ihre Städte diskutieren und diese aktiv mitgestalten möchten.
Eine Stadt wird versetzt
Die kleine Stadt Kiruna in Schweden mit ihren knapp 18 000 Menschen soll verschoben werden. Grund dafür ist eine Eisenerzgrube. Durch das Aushöhlen der Erde könnte die Stadt einbrechen. Es wurden Pläne entwickelt, die das teilweise Abtragen und teilweise Wiederaufbauen der Häuser an einem etwa drei Kilometer entfernten Ort vorsehen. Bis zum Jahr 2033 soll dieser ungewöhnliche Umzug abgeschlossen sein. Viele, so auch die Stadtverwaltung, sehen die auf dem Reißbrett entwickelte Stadt als möglichen Neuanfang. Doch nicht alle sind froh über die Planungen, die so eng an die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens gekoppelt sind. Was wäre zum Beispiel, wenn der Weltmarktpreis für Eisenerz fallen würde und die begonnene Verlagerung von Kiruna nicht vollständig umgesetzt werden kann?
Kritische Masse für Freiheit und Bewegung
Jeden letzten Freitag des Monats treffen sich Radfahrende, sowohl in Metropolen als auch in kleineren Städten, um—in Kolonne und als schiere Masse—die Straßen einzunehmen, regelrecht zu besetzen. Das Prinzip der kritischen Masse nutzt dabei eine Regel der Straßenverkehrsordnung, nach der ein Verband aus mindestens zwölf Radfahrenden als Fahrzeug zu betrachten ist und somit auch geschlossen über eine rot werdende Ampel fahren kann. Wer vorn radelt, bestimmt mit, wo es lang geht. Aufmerksamkeit wollen die Radfahrenden darauf lenken, dass die autogerechte Stadt des letzten Jahrhunderts an vielen Orten bis heute gefährliche Realität ist. Critical Mass ist damit ein friedliches und solidarisches Protestradeln gegen die Hegemonie des motorisierten Verkehrs in Stadtplanungen weltweit.
Rundumservice für urbane Mobilitätsbedürfnisse
Whim ist ein Konzept, das Mobilität für die wachsende Metropolregion Helsinki komplett neu denken soll. Es ist ein Projekt, das als Ergebnis von breit gefächerten Kooperationen zwischen Beteiligten aus der freien Wirtschaft, den Universitäten und dem öffentlichen Sektor entstanden ist. Die Idee: ein digitaler Rundumservice für die komplexen Fortbewegungsbedürfnisse aller Stadtnutzenden. Die Umsetzung: eine universelle Anwendung für Smartphones. Diese soll die Nutzung von vielen unterschiedlichen, vor allem geteilten oder nachhaltigeren Verkehrsangeboten einfacher, intuitiver und günstiger machen. Das unmittelbare Ziel: die Entscheidung für den öffentlichen Nahverkehr so attraktiv wie möglich zu machen. Langfristig geht es um die Abschaffung des privaten Autos.
Wie Wohnquartiere autofrei werden
In Barcelona wurde der Superblock—ein von großen Straßen begrenztes Stadtgebiet, das sich aus mehreren kleineren Stadtblöcken zusammensetzt—in den letzten Jahren neu erfunden. Er verspricht damit Lösungen für durch motorisierten Verkehr höchst emissionsbelastete Städte. Durch eine Verminderung der Verkehrsdichte soll aber auch der öffentliche Raum aufgewertet und existierende Nutzungen verstärkt oder neue möglich gemacht werden. In Barcelona sind mittlerweile sechs solche Superblocks realisiert worden. Befürchtungen, dass aufgrund der Verkehrsberuhigung der Einzelhandel leiden könnte, haben sich nicht bewahrheitet. Stattdessen hat sich die Anzahl der Wege, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad unternommen werden, erhöht. Die Luftqualität hat sich verbessert. Mittlerweile wird das Modell auch in anderen Städten getestet. Überall zeigt sich das Potenzial der räumlichen Organisation aus Sicht fußläufiger statt autofahrender Menschen.
Stadtschaukeln
In den Arbeiten von Matthias Wermke und Mischa Leinkauf werden gängige Situationen, Praktiken und Ordnungen der Stadt spielerisch, fast nebenbei, infrage gestellt. Die Schaukel, die an unterschiedlichen Orten Berlins auftauchte und dann wieder weiterzog, war an Straßenschildern, Gerüsten und Bauteilen befestigt. Sie annektierte temporär kleine Teile der zunehmend kommerzialisierten und privatisierten Stadt, machte sie sich zu eigen. Für einen noch so kurzen Moment entstand dadurch ein neuer (öffentlicher) Raum—da, wo vorher keiner war. Im Besetzten von Plätzen, Nischen, Stellen und Objekten, die normalerweise anderen Funktionen dienen, eroberte sie—ganz sanft und leise, aber nicht weniger nachdrücklich—Stadt zurück. So kann die mobile Schaukel als Warnung gelesen werden. Denn wenn der öffentliche Raum ganz verschwände, müssen wir dann irgendwann immer eine eigene Schaukel dabei haben?
Die Stadt als Skatepark
Skateboarding sei performative Kritik an der gebauten Welt, sagen manche. So entwickelt der noch relativ junge Sport, dessen Hauptschauplätze lange ausschließlich städtische Nicht-Orte waren, neue Auslegungen und andere Interpretationen von Raum. Diese Welt—ob nun gigantische Infrastrukturen, Gehwege, leere Swimmingpools, enorme Straßenzüge, Untertunnelungen genauso wie andere Betonwüsten der Moderne—zeigt der Fotograf und Skater Rubén Dario Kleimeer in seinen Bildern. Durch das Befahren und Aneignen dieser gebauten Strukturen erschließt Kleimeer damit ganz vielfältige Bedeutungsebenen von Raum. Dabei ist er nicht auf Antworten oder Lösungen für städtebauliche oder gesellschaftliche Probleme aus. Stattdessen lädt er uns ein, mit ihm zu suchen, mit ihm auf Fahrt zu gehen und dann gemeinsam—aus ungewohnten Perspektiven—darüber nachzudenken, wie die Stadt der Zukunft ausschauen könnte, was sie sein kann, und wie sie sich befahren ließe.
Modifiziertes Stadtmobiliar
Der Künstler Jeppe Hein modifiziert herkömmliche Parkbänke. So werden außer dem Sitzen auch all die anderen Dinge, Tätigkeiten und Gebrauche, für die Parkbänke sonst benutzt werden, oft nahezu unmöglich. Denn die veränderten Parkbänke haben geknickte Oberflächen, oder die Sitzflächen fehlen. Manche Bänke haben so lange Beine, dass eine Leiter bräuchte, wer sich auf ihnen niederlassen wollte. Andere sind jedoch nutzbar oder sogar besser als herkömmliche Bänke, wenn sie etwa ein Gespräch mit Augenkontakt ermöglichen. Wieder andere Gebilde erinnern an Spielgeräte. So zettelt die gemeine Parkbank in ihrer modifizierten Form Diskussionen über die Gestaltung von öffentlichem Raum an und lässt Unterhaltungen entstehen. Auch darüber, wofür und für wen geplant und gestaltet wird oder werden sollte.