Vor etwa 16 Jahren finden zwei Skater ein Stück Land im Gewerbegebiet Hannover-Linden verwaist vor. Sie beginnen aufzuräumen und einen kleinen Skatepark anzulegen. 2009 formieren sie sich als Verein, handeln einen Zwischennutzungsvertrag mit der Eigentümerin aus und schließen einen heute noch gültigen Pachtvertrag über 1 Euro pro Jahr ab. 2013 formiert sich dann ein weiterer Verein: Platzprojekt verfolgt das Ziel, Raum für Initiativen zu schaffen, einen Ort zur Selbsthilfe, zur gegenseitigen Unterstützung mit Wissen, Werkzeugen und handwerklicher Arbeit. Forschungsmittel und staatliche Fördergelder ermöglichen den Aufbau längerfristiger Beteiligungsstrukturen für junge Menschen, die in selbstorganisierten Räumen über ihre Städte diskutieren und diese aktiv mitgestalten möchten.
Platz machen
Kunst und Aktivismus
Gefängnisreformen, faire Länderhaushalte, Gerechtigkeit für Eingewanderte, die adäquate Bestimmung von Steuerlasten, die Aufhebung von Rassentrennung in Schulen, das Bekämpfen von Korruption oder das Hinterfragen von polizeilichen Überwachungen von Bevölkerungsschichten—all das sind Themen für das Centre for Artistic Activism (C4AA). Die Besonderheit ihrer Arbeit liegt dabei in der Verknüpfung von Methoden und Formaten der Kunst und sozialer Bewegungen. In Workshops, Seminaren, Sommerakademien und weiteren Programmen diskutieren sie mit Kunstschaffenden genauso wie Menschen, die vorrangig in sozialen Bewegungen aktiv sind, die Beweggründe und Arbeitsweisen der jeweils anderen Gruppe. Damit sollen Forderungen geschärft und Handlungen präziser organisiert werden. Alles andere, so die Gründer der Organisation, sei ein strategischer unverzeihlicher Fehler.
Dem Recht auf Stadt Gehör verschaffen
Der Chor der Statistik wurde 2019 gemeinsam von der Musikerin Bernadette La Hengst und dem experimentellen Architekturkollektiv raumlaborberlin gegründet. Über einen öffentlichen Aufruf fanden sich Menschen zusammen, die singend die Herausforderungen von Stadtentwicklungsprozessen thematisieren wollen. Konkreter Anlass für die Etablierung dieses Chores war das Modellverfahren um das Haus der Statistik in Berlin. Die gemeinsam entwickelten Lieder stellen Fragen und thematisieren Ängste. Sie formulieren aber auch Forderungen. So singt der Chor über Verdrängung und vom Recht auf Stadt, er benennt Probleme wie Mietpreissteigerungen und die Privatisierungen von Raum. Das gemeinsame Singen und öffentliche Auftreten sind dabei Protest und Demonstration zugleich. »Für eine bessere Zukunft!« sagt die Chorleiterin, den Taktstock hebend.
Stadtspiele
In den Spielen der Agentur Play the City sollen verschiedene Akteurinnen und Akteure ins Gespräch kommen, um miteinander über Fragen der Stadtplanung zu diskutieren. Wenn häufig nur politische und kommunale Entscheidungsträger am Tisch sitzen, um über Projekte zu entscheiden, dann kommen hier diverse Gruppen zusammen: Mitarbeitende der Stadtverwaltung, Bewohnende eines Viertels, Menschen, die lokale Geschäfte betreiben, Initiativen genauso wie Immobilienunternehmen, Architekturschaffende und viele mehr. Alle sollen mitdiskutieren und mitentscheiden. So zumindest das großartige Prinzip des Spiels. Es soll im Vorfeld großmaßstäblicher Bau- und Stadtentwicklungsprojekte gespielt werden, sagen die, die das Spiel in lokalen Varianten entwickeln, um Konsensbildungen zu beschleunigen, Entscheidungen zu unterstützen und Konflikte auszuräumen.
Einmal wieder durch die Stadt ziehen
Der mobile Zebrastreifen ist ein tragbares und an unübersichtlichen Straßenstellen einsetzbares Instrument. Er dient dazu, Fahrbahnen dort, wo keine legale Überquerungsmöglichkeit besteht, rechtskonform für fußläufige Menschen bequem überquerbar zu machen. Wegen der Größe und des damit verbundenen Gewichts des Teppichs geht das allerdings nicht allein. Es braucht viele Menschen, die mittragen und ‑rollen wollen. Damit wird das Überqueren einer anderweitig nicht-kreuzbaren Straße zur kollektiven Aktion, zu einer Art Protestmarsch. Das spielerisch erscheinende Artefakt weist dabei auf die hartnäckig bestehenden ungleichen Bewegungsräume von verschiedenen Gruppen in der Stadt hin. Mit dem Zelebrieren der nachhaltigsten aller Fortbewegungsarten zeigt der mobile Zebrastreifen auf, wie eine gerechte Stadt für Fußläufige aussehen könnte.
Das etwas andere Ministerium für Raum
Auch wenn Ministarstvo Prostora ganz offiziell klingt, ein staatliches Ministerium ist es nicht. Hinter dem Namen verbirgt sich eine kleine Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten, die sich der sozialen Gerechtigkeit verschrieben haben. So kämpft das Ministerium für Raum für eine Stadt, die der gesamten Bevölkerung zu Gute kommen soll, gegen korrupte Praktiken, die Veruntreuung öffentlicher Gelder und den Machtmissbrauch politischer Akteurinnen und Akteure. So beobachten, analysieren und kritisieren sie großflächige städtische Entwicklungsprojekte durch transnationale Konzerne und die Privatisierung von Gemeingütern. Sie hinterfragen den Bau von luxuriösen Wohnanlagen oder Einkaufszentren. Mit ihren Arbeiten unterstützt die Gruppe so die breite Protestkultur, die zivilgesellschaftliche Einbindung in das stadtpolitische Geschehen fordert.
Stadt im Wandel
Die Wekerle-Siedlung im Südosten von Budapest ist seit einigen Jahren Teil des weltweiten Transition Town Netzwerks, das sich aktiv mit den globalen Herausforderungen des Klimanotstands auseinandersetzt und Praktiken für lokale Produktions- und Verwertungskreisläufe entwickelt. Es werden alternative Energieversorgungen entwickelt, Nahrungsmittelsouveränität geschaffen, nachhaltiges Bauen und emissionsfreie Mobilität gefördert. In Werkerle werden dabei besonderer Wert auf die solidarische Landwirtschaft gelegt, ökologischer Gartenbau durch Kurse beworben, Saatgut lokaler Gemüsesorten über Tauschbörsen gehandelt und Kompost systematisch gesammelt. Die Lokalregierung hat das Potenzial dieses Ansatzes erkannt und unterstützt—trotz Gegenwind—mit Sach- und Geldmitteln. Ein Gemeinschaftshaus konnte gebaut, ein Gemeinschaftsgarten angelegt und der Marktplatz neu gestaltet werden.
Technische Hilfe für eine informelle Siedlung
Südlich von Lissabon, im Hinterland von Hotels und Apartmentkomplexen, befindet sich das nicht legalisierte Quartier Terras da Costa. Im Jahr 2012 entsteht in der Nachbarschaft die Idee, eine Gemeinschaftsküche einzurichten. Der Vorschlag ist mit der Hoffnung verbunden, dass die Behörden dadurch der Einrichtung einer Wasserleitung zustimmen und damit die Legalisierung der Siedlung beginnen kann. Das Architekturbüro ateliermob und viele andere Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen helfen auf verschiedenste Art. Manche bringen ihre Arbeit direkt ein, andere positionieren sich solidarisch, und Stiftungen unterstützen das Projekt finanziell. Nach etwa zwei Jahren fließt endlich Wasser nach Terras da Costa. Doch viele andere Aspekte sind weiterhin ungeklärt—können oder wollen politisch nicht beantwortet werden, so dass Siedlungen in ähnlichen Situationen auch weiterhin für ihr Recht auf Stadt kämpfen müssen.
Gemeinschaftsstiftende Konstruktionen
Die Arbeiten von constructLab entfalten sich im Kosmos zwischen Imagination und Leben. Im Fokus des Kollektivs steht dabei weniger das Schaffen von fixen und unveränderlichen Tatsachen. Stattdessen suchen sie aktiv nach Möglichkeiten, den Wünschen und Hoffnungen, die sich in Aneignungen ausdrücken, Form zu geben. Der Baukiosk ist in diesem Kontext ein Bild. Als komplexes Gebilde verkörpert er eine besondere Form des Stadtmachens, die unterschiedliche Interessen mit unterschiedlichen Möglichkeiten verbindet oder sogar bewusst kollidieren lässt. So ist der Baukiosk Treffpunkt genauso wie Sammelstelle. Analoges Billboard und digitale Anzeigetafel. Informationssystem genauso wie Ruhepunkt. Verteiler genauso wie Auskunftsschalter. Immer ist er vieles—und alles gleichzeitig.
Eine Stadtküche anderer Art
Als Yuriy Fylyuk und seine Freunde im Sommer 2008 aus Kiew nach Iwano-Frankiwsk kamen, fanden sie einen Ort vor, an dem vielfacher Mangel herrschte. Sie gründen das Netzwerk Teple Misto oder Warme Stadt, zu dem mittlerweile rund 60 lokale Unternehmen gehören. Ein Restaurant wird Plattform für die Aktivitäten der Gruppe und dient als Ort des Zusammenkommens und Austauschs. 100 Menschen beteiligen sich als Mitfinanzierende im Projekt Urban Space 100. Auch die Einnahmen aus dem Restaurant fließen in den Topf, aus dem seit 2015 Initiativen, kleine und größere Projekte finanziert und gefördert werden. So wurden mit den so gesammelten Geldern bereits historische Hauseingänge restauriert, Computer für medizinische Einrichtungen beschafft, Sportveranstaltungen und Festivals ausgerichtet.