Bildliche Gespräche nennt Olalekan Jeyifous seine teils dystopisch anmutenden Collagen, die sich kritisch mit städtischen Transformationsprozessen auseinandersetzen. Mit der Übersteigerung existierender Situationen will er die Sichtbarkeit derjenigen Menschen und Siedlungen erhöhen, die in Planungen oft kein Gehör finden und urbanen Entwicklungsschüben zum Opfer fallen. Er beleuchtet die Verquickungen von hegemonialen Strukturen, zeigt auf, wie Architektur die Machtstrukturen kolonialistischer Ideologien verstetigt und dann selbst Munition im Arsenal von kolonialer Macht wird. Diese unterschiedlichen Perspektiven und Erzählstränge finden wir auch in dieser Collage der europäischen Stadt wieder. Nach der systematischen Ausbeutung ihrer Kolonien steht sie hier selbst als kolonisiertes Gebilde da, das nicht nur von diesen Systemen erzählt, sondern auch von grüneren Zukünften und Geschichten.
In Barcelona wurde der Superblock—ein von großen Straßen begrenztes Stadtgebiet, das sich aus mehreren kleineren Stadtblöcken zusammensetzt—in den letzten Jahren neu erfunden. Er verspricht damit Lösungen für durch motorisierten Verkehr höchst emissionsbelastete Städte. Durch eine Verminderung der Verkehrsdichte soll aber auch der öffentliche Raum aufgewertet und existierende Nutzungen verstärkt oder neue möglich gemacht werden. In Barcelona sind mittlerweile sechs solche Superblocks realisiert worden. Befürchtungen, dass aufgrund der Verkehrsberuhigung der Einzelhandel leiden könnte, haben sich nicht bewahrheitet. Stattdessen hat sich die Anzahl der Wege, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad unternommen werden, erhöht. Die Luftqualität hat sich verbessert. Mittlerweile wird das Modell auch in anderen Städten getestet. Überall zeigt sich das Potenzial der räumlichen Organisation aus Sicht fußläufiger statt autofahrender Menschen.
Salvador Rueda, Direktor BCNecologia (2000–2019), BCNecologia, Agència d’Ecologia Urbana de Barcelona; Konsortium aus Ajuntament de Barcelona, l’Area Metropolitana de Barcelona i la Diputació de Barcelona; Bewohnende der Superblocks
Jahr
Seit 2003, erster Test-Superblock im Stadtteil Gràcia / 2016, Einweihung Superblock im Stadtteil Poblenou
In den Arbeiten von Matthias Wermke und Mischa Leinkauf werden gängige Situationen, Praktiken und Ordnungen der Stadt spielerisch, fast nebenbei, infrage gestellt. Die Schaukel, die an unterschiedlichen Orten Berlins auftauchte und dann wieder weiterzog, war an Straßenschildern, Gerüsten und Bauteilen befestigt. Sie annektierte temporär kleine Teile der zunehmend kommerzialisierten und privatisierten Stadt, machte sie sich zu eigen. Für einen noch so kurzen Moment entstand dadurch ein neuer (öffentlicher) Raum—da, wo vorher keiner war. Im Besetzten von Plätzen, Nischen, Stellen und Objekten, die normalerweise anderen Funktionen dienen, eroberte sie—ganz sanft und leise, aber nicht weniger nachdrücklich—Stadt zurück. So kann die mobile Schaukel als Warnung gelesen werden. Denn wenn der öffentliche Raum ganz verschwände, müssen wir dann irgendwann immer eine eigene Schaukel dabei haben?
In den Spielen der Agentur Play the City sollen verschiedene Akteurinnen und Akteure ins Gespräch kommen, um miteinander über Fragen der Stadtplanung zu diskutieren. Wenn häufig nur politische und kommunale Entscheidungsträger am Tisch sitzen, um über Projekte zu entscheiden, dann kommen hier diverse Gruppen zusammen: Mitarbeitende der Stadtverwaltung, Bewohnende eines Viertels, Menschen, die lokale Geschäfte betreiben, Initiativen genauso wie Immobilienunternehmen, Architekturschaffende und viele mehr. Alle sollen mitdiskutieren und mitentscheiden. So zumindest das großartige Prinzip des Spiels. Es soll im Vorfeld großmaßstäblicher Bau- und Stadtentwicklungsprojekte gespielt werden, sagen die, die das Spiel in lokalen Varianten entwickeln, um Konsensbildungen zu beschleunigen, Entscheidungen zu unterstützen und Konflikte auszuräumen.
Skateboarding sei performative Kritik an der gebauten Welt, sagen manche. So entwickelt der noch relativ junge Sport, dessen Hauptschauplätze lange ausschließlich städtische Nicht-Orte waren, neue Auslegungen und andere Interpretationen von Raum. Diese Welt—ob nun gigantische Infrastrukturen, Gehwege, leere Swimmingpools, enorme Straßenzüge, Untertunnelungen genauso wie andere Betonwüsten der Moderne—zeigt der Fotograf und Skater Rubén Dario Kleimeer in seinen Bildern. Durch das Befahren und Aneignen dieser gebauten Strukturen erschließt Kleimeer damit ganz vielfältige Bedeutungsebenen von Raum. Dabei ist er nicht auf Antworten oder Lösungen für städtebauliche oder gesellschaftliche Probleme aus. Stattdessen lädt er uns ein, mit ihm zu suchen, mit ihm auf Fahrt zu gehen und dann gemeinsam—aus ungewohnten Perspektiven—darüber nachzudenken, wie die Stadt der Zukunft ausschauen könnte, was sie sein kann, und wie sie sich befahren ließe.
Der Künstler Jeppe Hein modifiziert herkömmliche Parkbänke. So werden außer dem Sitzen auch all die anderen Dinge, Tätigkeiten und Gebrauche, für die Parkbänke sonst benutzt werden, oft nahezu unmöglich. Denn die veränderten Parkbänke haben geknickte Oberflächen, oder die Sitzflächen fehlen. Manche Bänke haben so lange Beine, dass eine Leiter bräuchte, wer sich auf ihnen niederlassen wollte. Andere sind jedoch nutzbar oder sogar besser als herkömmliche Bänke, wenn sie etwa ein Gespräch mit Augenkontakt ermöglichen. Wieder andere Gebilde erinnern an Spielgeräte. So zettelt die gemeine Parkbank in ihrer modifizierten Form Diskussionen über die Gestaltung von öffentlichem Raum an und lässt Unterhaltungen entstehen. Auch darüber, wofür und für wen geplant und gestaltet wird oder werden sollte.
Auch wenn Ministarstvo Prostora ganz offiziell klingt, ein staatliches Ministerium ist es nicht. Hinter dem Namen verbirgt sich eine kleine Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten, die sich der sozialen Gerechtigkeit verschrieben haben. So kämpft das Ministerium für Raum für eine Stadt, die der gesamten Bevölkerung zu Gute kommen soll, gegen korrupte Praktiken, die Veruntreuung öffentlicher Gelder und den Machtmissbrauch politischer Akteurinnen und Akteure. So beobachten, analysieren und kritisieren sie großflächige städtische Entwicklungsprojekte durch transnationale Konzerne und die Privatisierung von Gemeingütern. Sie hinterfragen den Bau von luxuriösen Wohnanlagen oder Einkaufszentren. Mit ihren Arbeiten unterstützt die Gruppe so die breite Protestkultur, die zivilgesellschaftliche Einbindung in das stadtpolitische Geschehen fordert.
Superkilen ist einer von vielen öffentlichen Räumen, die in den vergangenen zwanzig Jahren im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro angelegt wurden. Ziel des Parks war es, einen erweiterten Sozialraum zu schaffen, der das Quartier stärker in das größere Stadtgefüge einbindet. Außerdem sollten Bedingungen für Mitbestimmung und Inklusion etabliert werden, so dass die unterschiedlichen kulturellen und ethnischen Gruppen Teil der Planung werden konnten. So galt es nicht nur, Räume zu schaffen, wo sich die Nachbarschaften gerne aufhalten. Zusätzlich sollte sich deren Diversität im Entwurf abbilden. Im Prozess entstand so eine Reihe von Räumen, die von unterschiedlichen Vorstellungen geprägt und für verschiedene Aktivitäten programmiert ist. Doch genau das wirft auch viele Fragen über die genauen Ambitionen für und Umsetzungen von zivilgesellschaftlichen Mitgestaltungsprozessen auf.
Die Arbeiten von Thomas Hirschhorn thematisieren die Herausforderungen unserer Zeit. Sie handeln von Klimanotstand und Gerechtigkeit, von Konsumexzess und Entfremdung. Viele der geopolitischen Diskussionen, die der Künstler anschneidet und die wir sonst gut auf Distanz halten können, brechen in seinen Arbeiten über und auf uns ein. Wir werden Teil des hirschhornschen Kosmos, der so klar sagt, wie wichtig es ist, Position zu beziehen. Die ausgestellte Collage wirkt auf den ersten Blick seltsam nüchtern, fast entfremdet. Werte und Haltungen, nicht Lösungen, stehen im Zentrum. Einfache Antworten auf die mannigfachen Fragen suchen wir vergeblich. Vielmehr geht es um das Knüpfen von sozialen Beziehungen, das gemeinsame Handeln, das Erfinden von Praktiken, die Räume produzieren oder verändern.
Wie die Arbeiten des Crimson Kollektivs für Architekturgeschichte zeigen, wäre es fahrlässig, Straßen auf Mobilitätsdiskussionen zu beschränken. Denn diese Räume agieren vor allem auch als Protesträume. Die Straße, abgesperrt und leer gefegt vom Verkehr, wird dabei Bühne für das Öffentlichmachen von Unmut, Unbehagen und Unzufriedenheit gegenüber staatlichen Systemen oder politischen Entscheidungen. Crimsons Arbeit spricht von diesen Kämpfen genauso wie von Dynamiken und Kräften, die sich hier offenbaren. Die Zukunft von Protestbewegungen, so argumentieren sie, ist eng gekoppelt an die Straße als für alle zugänglichem Versammlungsort. Doch dieses Verständnis ist nicht überall gegeben. Was passiert zum Beispiel, wenn Überwachungspraktiken überhandnehmen? Oder, so fragen Crimson, wird genau dies immer wieder neue Proteste auslösen?