Vor etwa 16 Jahren finden zwei Skater ein Stück Land im Gewerbegebiet Hannover-Linden verwaist vor. Sie beginnen aufzuräumen und einen kleinen Skatepark anzulegen. 2009 formieren sie sich als Verein, handeln einen Zwischennutzungsvertrag mit der Eigentümerin aus und schließen einen heute noch gültigen Pachtvertrag über 1 Euro pro Jahr ab. 2013 formiert sich dann ein weiterer Verein: Platzprojekt verfolgt das Ziel, Raum für Initiativen zu schaffen, einen Ort zur Selbsthilfe, zur gegenseitigen Unterstützung mit Wissen, Werkzeugen und handwerklicher Arbeit. Forschungsmittel und staatliche Fördergelder ermöglichen den Aufbau längerfristiger Beteiligungsstrukturen für junge Menschen, die in selbstorganisierten Räumen über ihre Städte diskutieren und diese aktiv mitgestalten möchten.
Platz machen
Das etwas andere Ministerium für Raum
Auch wenn Ministarstvo Prostora ganz offiziell klingt, ein staatliches Ministerium ist es nicht. Hinter dem Namen verbirgt sich eine kleine Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten, die sich der sozialen Gerechtigkeit verschrieben haben. So kämpft das Ministerium für Raum für eine Stadt, die der gesamten Bevölkerung zu Gute kommen soll, gegen korrupte Praktiken, die Veruntreuung öffentlicher Gelder und den Machtmissbrauch politischer Akteurinnen und Akteure. So beobachten, analysieren und kritisieren sie großflächige städtische Entwicklungsprojekte durch transnationale Konzerne und die Privatisierung von Gemeingütern. Sie hinterfragen den Bau von luxuriösen Wohnanlagen oder Einkaufszentren. Mit ihren Arbeiten unterstützt die Gruppe so die breite Protestkultur, die zivilgesellschaftliche Einbindung in das stadtpolitische Geschehen fordert.
Werkhof für Baustoffe
Warum ist in der Bauindustrie das gängige Mantra: bauen, bauen, bauen—wenn Umnutzen, Wiederverwenden oder andere Formen des verantwortungsvollen Umgangs mit Ressourcen im Zentrum stehen sollten? Das interdisziplinäre Kollektiv Bellastock thematisiert dieses und andere große Probleme der Baubranche. La Fabrique du Clos in Stains, einer kleinen Stadt im Nordosten von Paris, wurde einerseits dazu genutzt, Materialien aus dem Abriss von Wohntürmen zu lagern. Andererseits war der Werkhof Treffpunkt und Bühne für die Menschen der Nachbarschaft. Es wurde diskutiert: über zukünftige städtische Räume, wie und von wem diese gestaltet werden wollen. So entstanden Prototypen für Schuppen, Pflanzbeete, Gartenlauben, Straßenpflasterungen, Spielgeräte, Bänke, Pavillons und vieles mehr. Sie zeigen, wie kleinteilige Alternativen etablierte Systeme infrage stellen können.
Gemeinschaftsstiftende Konstruktionen
Die Arbeiten von constructLab entfalten sich im Kosmos zwischen Imagination und Leben. Im Fokus des Kollektivs steht dabei weniger das Schaffen von fixen und unveränderlichen Tatsachen. Stattdessen suchen sie aktiv nach Möglichkeiten, den Wünschen und Hoffnungen, die sich in Aneignungen ausdrücken, Form zu geben. Der Baukiosk ist in diesem Kontext ein Bild. Als komplexes Gebilde verkörpert er eine besondere Form des Stadtmachens, die unterschiedliche Interessen mit unterschiedlichen Möglichkeiten verbindet oder sogar bewusst kollidieren lässt. So ist der Baukiosk Treffpunkt genauso wie Sammelstelle. Analoges Billboard und digitale Anzeigetafel. Informationssystem genauso wie Ruhepunkt. Verteiler genauso wie Auskunftsschalter. Immer ist er vieles—und alles gleichzeitig.
Stadt auf Probe
Die Stadt Görlitz ist durch Abwanderung seit den 1990er Jahren um ein Viertel ihrer Einwohnenden geschrumpft. 2008 wagen eine Forschungsgruppe der TU Dresden und die Stadtverwaltung Görlitz ein Experiment, um neue Menschen in die Stadt zu locken. Temporäres Wohnen in Görlitz soll die Qualitäten und Potenziale dieses Ortes offenbaren. Probewohnen, Stadt Erleben, Stadt auf Probe—mittlerweile läuft die vierte Auflage des Experiments. Interessierte können das Wohnen in der Stadt ausprobieren und die Netzwerke im Kultur- und Jugendbereich kennenlernen. Sie können gemeinschaftliche Arbeitsplätze und Werkstätten nutzen und so direkt neue soziale und berufliche Perspektiven ausloten.
Für ein zweites Leben der Architektur
In der Arbeit von Rotor und Rotor Deconstruction (RotorDC) geht es nicht um das Bauen von Gebäuden oder Städten im bisherigen Stil. Stattdessen arbeitet das Büro an Strategien des vorsichtigen Rückbaus von zum Abriss freigegebenen Häusern. Während Abrissarbeiten gerettete und wieder aufbereitete Materialien werden auf einer Website zum Verkauf angeboten. Das Spektrum ist groß und reicht von Schrankgriffen bis zu Eichenparkett, von diversen Leuchtmitteln bis Porzellanwaschbecken, von Glasbausteinen zu Bodenfliesen. Das große Ziel von Rotor ist es, das Bewusstsein für bestehende Nutz- und Vermögenswerte zu schärfen und einen rechtlichen Rahmen für die Wiederverwertung zu schaffen. Ihr Handbuch für den Rückbau von öffentlichen Gebäuden wird inzwischen von vielen Kommunen benutzt.
Über dem Straßenbahndepot ein genossenschaftliches Wohnprojekt
Das große, bis zu siebenstöckige Wohn- und Gewerbehaus im Zürcher Bezirk Wiedikon ist alles andere als gewöhnlich. Das Haus ist ein kleines Stück Stadt mit Kita, Arztpraxis, Bankfiliale, Programmkino, Bars, Restaurant, Blumenladen und Tramdepot. Weiterhin ist die Kalkbreite als »2000-Watt-Areal im Betrieb« zertifiziert: Durch aktive Nachhaltigkeitsmaßnahmen reduzieren die dort Wohnenden und Arbeitenden ihren energetischen Fußabdruck. Es wird gemeinsam gekocht und gegessen, Arbeitsräume werden geteilt, eine Dingbibliothek ermöglicht das Ausleihen von Geräten, und niemand hat ein eigenes Auto. Verglichen mit dem Zürcher Mittelwert liegen die dadurch erzielten Einsparungen aktuell bei etwa 50 Prozent. Die Vision der Kalkbreite soll langfristig für die gesamte Stadt gelten, um einen Beitrag zur Klimagerechtigkeit zu leisten.
Von der Brachfläche zum Nachbarschaftsort
Im Norden Brüssels, von Straßen umzingelt und doch fast schwer zu finden, hat sich ein kleines Paradies entwickelt. 2013 setzte ein divers aufgestelltes Team eine Idee um: Sie verknüpfen die Besonder- und Eigenheiten eines Parks mit urbaner Agrikultur und Micro-Farming. Lokale Initiativen und Gruppen, die die Ränder jenes Brachlands seit geraumer Zeit für den kollektiven Anbau von Obst und Gemüse, für Kleintierhaltungen und Taubenschläge genutzt hatten, werden beteiligt. Der daraus entstandene Ort—Parckfarm—verbindet bis heute die Nachbarschaft. Unterschiedliche Akteurinnen und Akteure organisieren vielfältige Aktivitäten, Workshops, Gartenarbeit und Debatten. Allerdings liegt mittlerweile ein Flächennutzungsplan für das Areal vor. Die Nachbarschaftsverbände sehen Zugang und Nutzung des Parks bedroht.