Bildliche Gespräche nennt Olalekan Jeyifous seine teils dystopisch anmutenden Collagen, die sich kritisch mit städtischen Transformationsprozessen auseinandersetzen. Mit der Übersteigerung existierender Situationen will er die Sichtbarkeit derjenigen Menschen und Siedlungen erhöhen, die in Planungen oft kein Gehör finden und urbanen Entwicklungsschüben zum Opfer fallen. Er beleuchtet die Verquickungen von hegemonialen Strukturen, zeigt auf, wie Architektur die Machtstrukturen kolonialistischer Ideologien verstetigt und dann selbst Munition im Arsenal von kolonialer Macht wird. Diese unterschiedlichen Perspektiven und Erzählstränge finden wir auch in dieser Collage der europäischen Stadt wieder. Nach der systematischen Ausbeutung ihrer Kolonien steht sie hier selbst als kolonisiertes Gebilde da, das nicht nur von diesen Systemen erzählt, sondern auch von grüneren Zukünften und Geschichten.
Eine Afrofuturistische Vision
Dem Recht auf Stadt Gehör verschaffen
Der Chor der Statistik wurde 2019 gemeinsam von der Musikerin Bernadette La Hengst und dem experimentellen Architekturkollektiv raumlaborberlin gegründet. Über einen öffentlichen Aufruf fanden sich Menschen zusammen, die singend die Herausforderungen von Stadtentwicklungsprozessen thematisieren wollen. Konkreter Anlass für die Etablierung dieses Chores war das Modellverfahren um das Haus der Statistik in Berlin. Die gemeinsam entwickelten Lieder stellen Fragen und thematisieren Ängste. Sie formulieren aber auch Forderungen. So singt der Chor über Verdrängung und vom Recht auf Stadt, er benennt Probleme wie Mietpreissteigerungen und die Privatisierungen von Raum. Das gemeinsame Singen und öffentliche Auftreten sind dabei Protest und Demonstration zugleich. »Für eine bessere Zukunft!« sagt die Chorleiterin, den Taktstock hebend.
Vielfalt in der Clubkultur
Das junge Berliner Kollektiv No Shade versucht, die Musik- und Clubszene nachhaltig zu verändern. So soll, zum Beispiel durch die Ausrichtung einer regelmäßig stattfindenden Clubnacht sowie einer Reihe von Ausbildungsprogrammen, die Repräsentation von weiblichen, non-binären und trans DJs sowie visuellen Kunstschaffenden in der Clubszene erhöht werden. Auch will das Kollektiv die unterschiedlichen communities, crews und Feiernden besser miteinander vernetzen und solidere Strukturen aufbauen. Denn diese Strategien, Netzwerke, Auffangmechanismen und Werkzeuge sind wesentlich, um die teils fragilen, oft prekären, häufig isolierten und meist parallel existierenden Systeme am Leben zu halten und durch die Bildung von solidarischen Momenten weiter zu stärken.
Kolonialen Geschichten auf der Spur
Seit etwa fünf Jahren gibt es in Amsterdam ein Archiv, das verborgene und selten erzählte, ausradierte genauso wie unterdrückte Stimmen und Geschichten (wieder) sichtbar machen will. Aufbauend auf dem Nachlass des in Surinam geborenen Sozialwissenschaftlers Waldo Heilbron ist ein Zentrum für (post)koloniale Geschichte entstanden. Hier wird hegemoniale und aus Europa heraus erstellte Geschichtsschreibung um Aspekte, Daten und Fakten erweitert, die ein multiperspektivisches Bild globaler Entwicklungen über die letzten 400 Jahre zeichnen. Als Ort des Sammelns, Forschens, Vermittelns und Produzierens von Wissen demonstriert The Black Archives, wie Geschichte anders ausgerichtet und Schritt für Schritt um eben jene fehlenden und unterdrückten Stimmen ergänzt und erweitert werden kann.
Wer baut unsere Städte?
Das Projekt Fair Building handelt von jenen, die häufig vergessen werden, wenn Architekturschaffende von spektakulären Neubauten oder Menschen des öffentlichen Lebens von großflächigen Stadtplanungen erzählen. Denn anders als in der Filmindustrie, wo jede noch so kleine Rolle im Abspann aufgeführt wird, hält sich die Architektur eher bedeckt, wenn es um die Arbeit und die Arbeitenden geht, die Gebäude mittels ihrer Kraft möglich machen: Arbeitende, die in prekären Verhältnissen angestellt sind; Arbeitende, die zeitweise fernab ihres Zuhauses an unwirtlichen Orten leben; Arbeitende, die auf ungesicherten Baustellen ihren Beruf ausüben; Arbeitende, die zu lange Tage und zu lange Wochen schuften. Sie spielen hier die Hauptrolle.
Für ein zweites Leben der Architektur
In der Arbeit von Rotor und Rotor Deconstruction (RotorDC) geht es nicht um das Bauen von Gebäuden oder Städten im bisherigen Stil. Stattdessen arbeitet das Büro an Strategien des vorsichtigen Rückbaus von zum Abriss freigegebenen Häusern. Während Abrissarbeiten gerettete und wieder aufbereitete Materialien werden auf einer Website zum Verkauf angeboten. Das Spektrum ist groß und reicht von Schrankgriffen bis zu Eichenparkett, von diversen Leuchtmitteln bis Porzellanwaschbecken, von Glasbausteinen zu Bodenfliesen. Das große Ziel von Rotor ist es, das Bewusstsein für bestehende Nutz- und Vermögenswerte zu schärfen und einen rechtlichen Rahmen für die Wiederverwertung zu schaffen. Ihr Handbuch für den Rückbau von öffentlichen Gebäuden wird inzwischen von vielen Kommunen benutzt.
Wehrhafte Kleinbauten
Wir schauen auf eine tief in den Boden gebaggerte Grube. In der Mitte: wie ein Fels in der Brandung ein gewaltiger Erdklumpen, auf dem ein letztes vereinzeltes Haus steht. »Nagelhäuser« heißen diese Gebilde, die in einer scheinbaren Öde übrig geblieben sind. Für Ahmet Öğüt sind diese Häuser »Ausdruck des individuellen Alltagswiderstands gegen die Strategien staatlicher oder unternehmerischer Zwänge«. Sie sind Überbleibsel eiliger Urbanisierungsprozesse und sprechen gleichzeitig von Verdrängung. Öğüts Modelldarstellungen der Nagelhäuser halten diesen Zustand als Warnung fest. Und so wird der Widerstand gegen die unerbittliche globale Immobilienwirtschaft und spekulative Grundstücksentwicklung langfristig sichtbar und damit für andere verhandelbar gemacht.