Vor etwa 16 Jahren finden zwei Skater ein Stück Land im Gewerbegebiet Hannover-Linden verwaist vor. Sie beginnen aufzuräumen und einen kleinen Skatepark anzulegen. 2009 formieren sie sich als Verein, handeln einen Zwischennutzungsvertrag mit der Eigentümerin aus und schließen einen heute noch gültigen Pachtvertrag über 1 Euro pro Jahr ab. 2013 formiert sich dann ein weiterer Verein: Platzprojekt verfolgt das Ziel, Raum für Initiativen zu schaffen, einen Ort zur Selbsthilfe, zur gegenseitigen Unterstützung mit Wissen, Werkzeugen und handwerklicher Arbeit. Forschungsmittel und staatliche Fördergelder ermöglichen den Aufbau längerfristiger Beteiligungsstrukturen für junge Menschen, die in selbstorganisierten Räumen über ihre Städte diskutieren und diese aktiv mitgestalten möchten.
Platz machen
Das etwas andere Ministerium für Raum
Auch wenn Ministarstvo Prostora ganz offiziell klingt, ein staatliches Ministerium ist es nicht. Hinter dem Namen verbirgt sich eine kleine Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten, die sich der sozialen Gerechtigkeit verschrieben haben. So kämpft das Ministerium für Raum für eine Stadt, die der gesamten Bevölkerung zu Gute kommen soll, gegen korrupte Praktiken, die Veruntreuung öffentlicher Gelder und den Machtmissbrauch politischer Akteurinnen und Akteure. So beobachten, analysieren und kritisieren sie großflächige städtische Entwicklungsprojekte durch transnationale Konzerne und die Privatisierung von Gemeingütern. Sie hinterfragen den Bau von luxuriösen Wohnanlagen oder Einkaufszentren. Mit ihren Arbeiten unterstützt die Gruppe so die breite Protestkultur, die zivilgesellschaftliche Einbindung in das stadtpolitische Geschehen fordert.
Ein Refugee-Hotel im Herzen Athens
Das City Plaza Hotel im Athener Stadtteil Victoria stand lange leer. Im April 2016 besetzte eine Initiative das ehemalige Hotel gemeinsam mit gestrandeten Flüchtenden aus dem Irak, Afghanistan, Syrien und vielen anderen Orten. Sie verwandelten das Gebäude mit seinen 126 Zimmern in ein Wohnhaus und verwalteten es selbst. In dem Projekt wurde gezeigt, wie ökonomische und politische Solidarität mit Flüchtenden praktiziert werden kann. Damit war es auch ein Zentrum für den Kampf gegen Rassismus, Grenzen, repressive Migrationspolitiken und soziale Exklusion. Nach 36 Monaten kam das Experiment 2019 zum Ende. Trotz der Kürze der Projektdauer, stehen das Gebäude im Zentrum Athens und die Aktivitäten, die sich dort entfaltet hatten, maßgeblich für Themen, die für uns alle—und nicht nur in Krisen—von Bedeutung sind.
Initiative für eine kooperative Stadt der Zukunft
Flughafengebäude Tempelhof: 312 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche. Betoniertes Vorfeld: 236 000 Quadratmeter. Das Tempelhofer Feld: riesige 355 Hektar. Seit zwölf Jahren schon ist der Flugbetrieb eingestellt, seit 2009 sind die Gebäude inklusive Flugfeld im Besitz des Landes Berlin. Seitdem: Diskussionen und Prozesse darüber, was mit dieser kolossalen Fläche nun gemacht werden soll. Das Kollektiv, das seit 2018 das ehemalige Torhaus des Flughafens bespielt, fordert mit vielen anderen zusammen, dass Gemeinwohlorientierung im Vordergrund stehen muss: Das Ganze soll »enkel*innentauglich« sein. Das heißt: Die Stadt der Zukunft zu machen, neue mögliche Imaginarien zu entwickeln bedeutet nicht nur, mit Respekt für Menschen und Nicht-Menschen zu planen, sondern auch planetenverträglich.
Das ist unser Haus!
Wohnen darf, genau wie Grund und Boden, keine Ware sein—so lautet das Ziel des Mietshäuser Syndikats ganz knapp zusammengefasst. Seit seiner offiziellen Gründung 1993 in Freiburg werden selbstorganisierte Hausprojekte entwickelt und gefördert. Die Besonderheit des Syndikats ist, dass Grundstücke und Gebäude dauerhaft dekommodifiziert werden. Das heißt: Das Syndikat kauft zusammen mit den Mietenden eines Hauses das Objekt samt Grund und Boden, und löst damit traditionelle Eigentums- oder andere Abhängigkeitsverhältnisse auf. Es entzieht Gebäude und das Stück Land, auf dem sie stehen, dem Immobilienmarkt und positioniert sich explizit gegen Spekulation und Profit. Etwa 160 Projekte in Deutschland, den Niederlanden und Österreich befinden sich mittlerweile unter dem Schirm des Syndikats, die langfristig leistbare Wohn‑, Arbeits- und Lebensräume Wirklichkeit werden lassen.
Eine Stadtküche anderer Art
Als Yuriy Fylyuk und seine Freunde im Sommer 2008 aus Kiew nach Iwano-Frankiwsk kamen, fanden sie einen Ort vor, an dem vielfacher Mangel herrschte. Sie gründen das Netzwerk Teple Misto oder Warme Stadt, zu dem mittlerweile rund 60 lokale Unternehmen gehören. Ein Restaurant wird Plattform für die Aktivitäten der Gruppe und dient als Ort des Zusammenkommens und Austauschs. 100 Menschen beteiligen sich als Mitfinanzierende im Projekt Urban Space 100. Auch die Einnahmen aus dem Restaurant fließen in den Topf, aus dem seit 2015 Initiativen, kleine und größere Projekte finanziert und gefördert werden. So wurden mit den so gesammelten Geldern bereits historische Hauseingänge restauriert, Computer für medizinische Einrichtungen beschafft, Sportveranstaltungen und Festivals ausgerichtet.
Ein Viertel, das die Dinge selbst in die Hand nimmt
In den 1980er Jahren ist Toxteth Schauplatz vehementer Klassenkämpfe. Menschen verlegen ihren Wohnsitz in andere Teile Liverpools; viele der viktorianischen Reihenhäuser verfallen. Daraufhin wird eine Gruppe im Quartier aktiv. Sie räumen auf, legen Blumenbeete an, streichen Fenster und etablieren einen Markt. Eine Stiftung wird gegründet, der Community Land Trust, um langfristig bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, der der Gemeinschaft gehört. Die Gruppe kann die Kommune überzeugen, Häuser nicht abzureißen, sondern behutsam zu erneuern. Später entwickelt das Architekturkollektiv Assemble einen Plan für das Gebiet. Obwohl die Arbeiten immer noch nicht abgeschlossen und viele Häuser immer noch baufällig sind, ist das Ziel der Menschen im Quartier, die Zukunft der Häuser selbst in die Hand zu nehmen, erst einmal erreicht.
Eine Kleinstadt im Dialog mit der Zivilgesellschaft
Die kleine Stadt Altenburg in Thüringen schrumpft. Seit den 1980er Jahren ist die Bevölkerung um über 40 Prozent zurückgegangen. Viele Einzelpersonen und Vereinigungen sind deswegen schon seit einigen Jahren aktiv. Sie wollen der lausigen Stimmung entgegenwirken. »Stadtmensch« heißt die Kooperation von verschiedenen Initiativen, Fördervereinen und Kulturbetrieben, die—gefördert durch ein Programm der Nationalen Stadtentwicklungspolitik—daran arbeitet, existierende Modelle für die koproduktive Stadt entschieden zu erweitern. Konkret geht es darum, dass die Zivilgesellschaft Verantwortung für die öffentlichen Innen- und Außenräume der Stadt übernimmt. Ideenaufrufe bringen Projekte hervor, über deren Umsetzung und Förderung die Stadtbevölkerung in unterschiedlichen Verfahren mitentscheidet. Wichtiges Kriterium: Die Projekte sollen dem Gemeinwohl dienen.