Der Chor der Statistik wurde 2019 gemeinsam von der Musikerin Bernadette La Hengst und dem experimentellen Architekturkollektiv raumlaborberlin gegründet. Über einen öffentlichen Aufruf fanden sich Menschen zusammen, die singend die Herausforderungen von Stadtentwicklungsprozessen thematisieren wollen. Konkreter Anlass für die Etablierung dieses Chores war das Modellverfahren um das Haus der Statistik in Berlin. Die gemeinsam entwickelten Lieder stellen Fragen und thematisieren Ängste. Sie formulieren aber auch Forderungen. So singt der Chor über Verdrängung und vom Recht auf Stadt, er benennt Probleme wie Mietpreissteigerungen und die Privatisierungen von Raum. Das gemeinsame Singen und öffentliche Auftreten sind dabei Protest und Demonstration zugleich. »Für eine bessere Zukunft!« sagt die Chorleiterin, den Taktstock hebend.
Dem Recht auf Stadt Gehör verschaffen
Ein Refugee-Hotel im Herzen Athens
Das City Plaza Hotel im Athener Stadtteil Victoria stand lange leer. Im April 2016 besetzte eine Initiative das ehemalige Hotel gemeinsam mit gestrandeten Flüchtenden aus dem Irak, Afghanistan, Syrien und vielen anderen Orten. Sie verwandelten das Gebäude mit seinen 126 Zimmern in ein Wohnhaus und verwalteten es selbst. In dem Projekt wurde gezeigt, wie ökonomische und politische Solidarität mit Flüchtenden praktiziert werden kann. Damit war es auch ein Zentrum für den Kampf gegen Rassismus, Grenzen, repressive Migrationspolitiken und soziale Exklusion. Nach 36 Monaten kam das Experiment 2019 zum Ende. Trotz der Kürze der Projektdauer, stehen das Gebäude im Zentrum Athens und die Aktivitäten, die sich dort entfaltet hatten, maßgeblich für Themen, die für uns alle—und nicht nur in Krisen—von Bedeutung sind.
Technische Hilfe für eine informelle Siedlung
Südlich von Lissabon, im Hinterland von Hotels und Apartmentkomplexen, befindet sich das nicht legalisierte Quartier Terras da Costa. Im Jahr 2012 entsteht in der Nachbarschaft die Idee, eine Gemeinschaftsküche einzurichten. Der Vorschlag ist mit der Hoffnung verbunden, dass die Behörden dadurch der Einrichtung einer Wasserleitung zustimmen und damit die Legalisierung der Siedlung beginnen kann. Das Architekturbüro ateliermob und viele andere Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen helfen auf verschiedenste Art. Manche bringen ihre Arbeit direkt ein, andere positionieren sich solidarisch, und Stiftungen unterstützen das Projekt finanziell. Nach etwa zwei Jahren fließt endlich Wasser nach Terras da Costa. Doch viele andere Aspekte sind weiterhin ungeklärt—können oder wollen politisch nicht beantwortet werden, so dass Siedlungen in ähnlichen Situationen auch weiterhin für ihr Recht auf Stadt kämpfen müssen.
Zur Finanzierung der kooperativen Stadt
Das Buch und Aktionsforschungsprojekt Funding the Cooperative City. Community Finance and the Economy of Civic Spaces beschreibt vielzählige Fallstudien von Projekten aus ganz Europa, die erklären, wie lokale gemeinwohlorientierte Finanzierungen aufgestellt werden können. Gezeigt und besprochen werden unterschiedlichste Gruppen, die sich neue Modelle überlegt haben, um nicht-kommerzielle Räume für ihre Nachbarschaften zu entwickeln und zu betreiben. Einfach ist das alles nicht, wie viele Interviews und Gesprächsnotizen zeigen. Doch möglich ist es schon: durch das Bilden von solidarischen Netzwerken, mit nachbarschaftlichem Einsatz, Experimentierfreude sowie administrativer und häufig auch finanzieller Unterstützung durch die jeweiligen Kommunen.
Begegnungen provozieren
Die Arbeiten von Thomas Hirschhorn thematisieren die Herausforderungen unserer Zeit. Sie handeln von Klimanotstand und Gerechtigkeit, von Konsumexzess und Entfremdung. Viele der geopolitischen Diskussionen, die der Künstler anschneidet und die wir sonst gut auf Distanz halten können, brechen in seinen Arbeiten über und auf uns ein. Wir werden Teil des hirschhornschen Kosmos, der so klar sagt, wie wichtig es ist, Position zu beziehen. Die ausgestellte Collage wirkt auf den ersten Blick seltsam nüchtern, fast entfremdet. Werte und Haltungen, nicht Lösungen, stehen im Zentrum. Einfache Antworten auf die mannigfachen Fragen suchen wir vergeblich. Vielmehr geht es um das Knüpfen von sozialen Beziehungen, das gemeinsame Handeln, das Erfinden von Praktiken, die Räume produzieren oder verändern.
Das ist unser Haus!
Wohnen darf, genau wie Grund und Boden, keine Ware sein—so lautet das Ziel des Mietshäuser Syndikats ganz knapp zusammengefasst. Seit seiner offiziellen Gründung 1993 in Freiburg werden selbstorganisierte Hausprojekte entwickelt und gefördert. Die Besonderheit des Syndikats ist, dass Grundstücke und Gebäude dauerhaft dekommodifiziert werden. Das heißt: Das Syndikat kauft zusammen mit den Mietenden eines Hauses das Objekt samt Grund und Boden, und löst damit traditionelle Eigentums- oder andere Abhängigkeitsverhältnisse auf. Es entzieht Gebäude und das Stück Land, auf dem sie stehen, dem Immobilienmarkt und positioniert sich explizit gegen Spekulation und Profit. Etwa 160 Projekte in Deutschland, den Niederlanden und Österreich befinden sich mittlerweile unter dem Schirm des Syndikats, die langfristig leistbare Wohn‑, Arbeits- und Lebensräume Wirklichkeit werden lassen.
Ein Zeichen für Europa
Die Arbeit EUROPA entstand im Kontext der Nachwehen der Wahl für den Austritt Großbritanniens aus der EU. Europa, so das Architektur- und Planungsbüro morePlatz, fehle es an Sichtbarkeit, öffentlicher Präsenz und positivem Feedback. Die riesigen leuchtenden Röhren, die seit ihrer ersten Installation im November 2016 in Berlin und an vielen anderen Orten in Deutschland und im Ausland zu sehen waren, bedienen genau diesen artikulierten Mangel. Doch die europäische Idee, für die diese Buchstaben und die Leuchtkörper einstehen, wird von vielen auch kritisch gesehen: Europas Außengrenzen werden zunehmend abgeschottet und verteidigt. Das Versprechen eines offenen und solidarischen Europas bleibt im Moment für viele ein unerreichbares Ziel. Das strahlende EUROPA leuchtet nicht für alle gleich hell.
Ein Modellprojekt für die Integration von Geflüchteten
Der ehemalige Bürgermeister Domenico »Mimmo« Lucano der süditalienischen Gemeinde Riace war Mitbegründer des Vereins Città Futura—Stadt der Zukunft. In Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen nahm er Geflüchtete aus Afghanistan, dem Irak, Eritrea, Palästina und dem Libanon im Ort auf. Staatliche Subventionen wurden in die Infrastruktur des Ortes investiert, der—so sagen das heute viele—ohne die neuen Bewohnenden wohl ausgestorben wäre. Gemeinsam mit den Ansässigen wurden verlassene Häuser wieder instand gesetzt. Auch wurden die Neuankömmlinge in lokale Traditionen—das Herstellen von Glas, Keramik und Stickereien—eingeführt. Doch von Anfang an gab es Widerstand gegen das als eigenwillig angesehene Vorgehen, der das Projekt schließlich vor wenigen Jahren zum Scheitern brachte. Lucano wurde Amtsmissbrauch vorgeworfen. Er musste Riace verlassen. Mittlerweile ist er zurück und schmiedet neue Pläne.