Flughafengebäude Tempelhof: 312 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche. Betoniertes Vorfeld: 236 000 Quadratmeter. Das Tempelhofer Feld: riesige 355 Hektar. Seit zwölf Jahren schon ist der Flugbetrieb eingestellt, seit 2009 sind die Gebäude inklusive Flugfeld im Besitz des Landes Berlin. Seitdem: Diskussionen und Prozesse darüber, was mit dieser kolossalen Fläche nun gemacht werden soll. Das Kollektiv, das seit 2018 das ehemalige Torhaus des Flughafens bespielt, fordert mit vielen anderen zusammen, dass Gemeinwohlorientierung im Vordergrund stehen muss: Das Ganze soll »enkel*innentauglich« sein. Das heißt: Die Stadt der Zukunft zu machen, neue mögliche Imaginarien zu entwickeln bedeutet nicht nur, mit Respekt für Menschen und Nicht-Menschen zu planen, sondern auch planetenverträglich.
Initiative für eine kooperative Stadt der Zukunft
Zur Finanzierung der kooperativen Stadt
Das Buch und Aktionsforschungsprojekt Funding the Cooperative City. Community Finance and the Economy of Civic Spaces beschreibt vielzählige Fallstudien von Projekten aus ganz Europa, die erklären, wie lokale gemeinwohlorientierte Finanzierungen aufgestellt werden können. Gezeigt und besprochen werden unterschiedlichste Gruppen, die sich neue Modelle überlegt haben, um nicht-kommerzielle Räume für ihre Nachbarschaften zu entwickeln und zu betreiben. Einfach ist das alles nicht, wie viele Interviews und Gesprächsnotizen zeigen. Doch möglich ist es schon: durch das Bilden von solidarischen Netzwerken, mit nachbarschaftlichem Einsatz, Experimentierfreude sowie administrativer und häufig auch finanzieller Unterstützung durch die jeweiligen Kommunen.
Eine kofinanzierte Brücke setzt neue Impulse
20 Jahre ist es her, dass der Schieblock in Rotterdam von dem Architekturbüro ZUS als sogenannte Anti-Besetzung bezogen wurde. Damals waren die Gebiete im Umfeld dieses Blocks jedoch durch Straßen und Bahntrassen zerschnitten und voneinander getrennt. So entstand die Idee einer Brücke. Die Hoffnung: neue Impulse und Nutzungen für die leerstehenden Gebäude und Stadtbrachen. Die Brücke brachte, schon bevor es sie gab, Menschen in Rotterdam zusammen. Über eine Internet-Plattform konnten sie Holzbeplankungen erwerben und somit die Brücke, die schließlich 2015 eröffnet wurde, kofinanzieren. Doch auch weitere Aspekte des Projekts wurden nachdrücklich von der Kommune Rotterdam gefördert: Arbeits- und Büroräume, Restaurants, Cafés und Grünflächen. Seitdem wird viel über die neue Lebendigkeit im Quartier, aber auch die Konsequenzen von Aufwertung und Exklusivität gesprochen.
Stadt auf Probe
Die Stadt Görlitz ist durch Abwanderung seit den 1990er Jahren um ein Viertel ihrer Einwohnenden geschrumpft. 2008 wagen eine Forschungsgruppe der TU Dresden und die Stadtverwaltung Görlitz ein Experiment, um neue Menschen in die Stadt zu locken. Temporäres Wohnen in Görlitz soll die Qualitäten und Potenziale dieses Ortes offenbaren. Probewohnen, Stadt Erleben, Stadt auf Probe—mittlerweile läuft die vierte Auflage des Experiments. Interessierte können das Wohnen in der Stadt ausprobieren und die Netzwerke im Kultur- und Jugendbereich kennenlernen. Sie können gemeinschaftliche Arbeitsplätze und Werkstätten nutzen und so direkt neue soziale und berufliche Perspektiven ausloten.
Ein Viertel, das die Dinge selbst in die Hand nimmt
In den 1980er Jahren ist Toxteth Schauplatz vehementer Klassenkämpfe. Menschen verlegen ihren Wohnsitz in andere Teile Liverpools; viele der viktorianischen Reihenhäuser verfallen. Daraufhin wird eine Gruppe im Quartier aktiv. Sie räumen auf, legen Blumenbeete an, streichen Fenster und etablieren einen Markt. Eine Stiftung wird gegründet, der Community Land Trust, um langfristig bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, der der Gemeinschaft gehört. Die Gruppe kann die Kommune überzeugen, Häuser nicht abzureißen, sondern behutsam zu erneuern. Später entwickelt das Architekturkollektiv Assemble einen Plan für das Gebiet. Obwohl die Arbeiten immer noch nicht abgeschlossen und viele Häuser immer noch baufällig sind, ist das Ziel der Menschen im Quartier, die Zukunft der Häuser selbst in die Hand zu nehmen, erst einmal erreicht.
Eine Kleinstadt im Dialog mit der Zivilgesellschaft
Die kleine Stadt Altenburg in Thüringen schrumpft. Seit den 1980er Jahren ist die Bevölkerung um über 40 Prozent zurückgegangen. Viele Einzelpersonen und Vereinigungen sind deswegen schon seit einigen Jahren aktiv. Sie wollen der lausigen Stimmung entgegenwirken. »Stadtmensch« heißt die Kooperation von verschiedenen Initiativen, Fördervereinen und Kulturbetrieben, die—gefördert durch ein Programm der Nationalen Stadtentwicklungspolitik—daran arbeitet, existierende Modelle für die koproduktive Stadt entschieden zu erweitern. Konkret geht es darum, dass die Zivilgesellschaft Verantwortung für die öffentlichen Innen- und Außenräume der Stadt übernimmt. Ideenaufrufe bringen Projekte hervor, über deren Umsetzung und Förderung die Stadtbevölkerung in unterschiedlichen Verfahren mitentscheidet. Wichtiges Kriterium: Die Projekte sollen dem Gemeinwohl dienen.
Ein Modellprojekt für die Integration von Geflüchteten
Der ehemalige Bürgermeister Domenico »Mimmo« Lucano der süditalienischen Gemeinde Riace war Mitbegründer des Vereins Città Futura—Stadt der Zukunft. In Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen nahm er Geflüchtete aus Afghanistan, dem Irak, Eritrea, Palästina und dem Libanon im Ort auf. Staatliche Subventionen wurden in die Infrastruktur des Ortes investiert, der—so sagen das heute viele—ohne die neuen Bewohnenden wohl ausgestorben wäre. Gemeinsam mit den Ansässigen wurden verlassene Häuser wieder instand gesetzt. Auch wurden die Neuankömmlinge in lokale Traditionen—das Herstellen von Glas, Keramik und Stickereien—eingeführt. Doch von Anfang an gab es Widerstand gegen das als eigenwillig angesehene Vorgehen, der das Projekt schließlich vor wenigen Jahren zum Scheitern brachte. Lucano wurde Amtsmissbrauch vorgeworfen. Er musste Riace verlassen. Mittlerweile ist er zurück und schmiedet neue Pläne.
Von der Brachfläche zum Nachbarschaftsort
Im Norden Brüssels, von Straßen umzingelt und doch fast schwer zu finden, hat sich ein kleines Paradies entwickelt. 2013 setzte ein divers aufgestelltes Team eine Idee um: Sie verknüpfen die Besonder- und Eigenheiten eines Parks mit urbaner Agrikultur und Micro-Farming. Lokale Initiativen und Gruppen, die die Ränder jenes Brachlands seit geraumer Zeit für den kollektiven Anbau von Obst und Gemüse, für Kleintierhaltungen und Taubenschläge genutzt hatten, werden beteiligt. Der daraus entstandene Ort—Parckfarm—verbindet bis heute die Nachbarschaft. Unterschiedliche Akteurinnen und Akteure organisieren vielfältige Aktivitäten, Workshops, Gartenarbeit und Debatten. Allerdings liegt mittlerweile ein Flächennutzungsplan für das Areal vor. Die Nachbarschaftsverbände sehen Zugang und Nutzung des Parks bedroht.