Jeden letzten Freitag des Monats treffen sich Radfahrende, sowohl in Metropolen als auch in kleineren Städten, um—in Kolonne und als schiere Masse—die Straßen einzunehmen, regelrecht zu besetzen. Das Prinzip der kritischen Masse nutzt dabei eine Regel der Straßenverkehrsordnung, nach der ein Verband aus mindestens zwölf Radfahrenden als Fahrzeug zu betrachten ist und somit auch geschlossen über eine rot werdende Ampel fahren kann. Wer vorn radelt, bestimmt mit, wo es lang geht. Aufmerksamkeit wollen die Radfahrenden darauf lenken, dass die autogerechte Stadt des letzten Jahrhunderts an vielen Orten bis heute gefährliche Realität ist. Critical Mass ist damit ein friedliches und solidarisches Protestradeln gegen die Hegemonie des motorisierten Verkehrs in Stadtplanungen weltweit.
Kritische Masse für Freiheit und Bewegung
Von der Lokomotivwerkstatt zur Bibliothek
2009 erwirbt die Gemeinde Tilburg zusammen mit zwei großen Immobilien- und Baufirmen das riesige Areal direkt hinter dem Hauptbahnhof. Der ursprüngliche Plan sah vor, bestehende Gebäude, wie die ehemalige Lokomotivenhalle, kurz auch: LocHal, abzureißen und riesige Büro- und Apartmentkomplexe zu errichten. Die Entscheidung wird aber zurückgenommen. Statt Abriss kommen Sanierungen und Umnutzungen. So eröffnet 2019 hier die städtische Bibliothek, die aber viel mehr ist als eine Sammlung von Büchern. So schützt die gläserne Halle einen innen liegenden Stadtplatz—mit Café und Freitreppe. Außerdem befinden sich hier Magazin, Büro- und Veranstaltungsräume, und an den Rändern liegen Werkstätten und Arbeitsräume. Die vielen Menschen, die das Gebäude für mannigfaltige Aktivitäten nutzen, machen deutlich, dass öffentlicher Raum auch in der Zukunft noch eine wesentliche Rolle spielen wird.
Werkhof für Baustoffe
Warum ist in der Bauindustrie das gängige Mantra: bauen, bauen, bauen—wenn Umnutzen, Wiederverwenden oder andere Formen des verantwortungsvollen Umgangs mit Ressourcen im Zentrum stehen sollten? Das interdisziplinäre Kollektiv Bellastock thematisiert dieses und andere große Probleme der Baubranche. La Fabrique du Clos in Stains, einer kleinen Stadt im Nordosten von Paris, wurde einerseits dazu genutzt, Materialien aus dem Abriss von Wohntürmen zu lagern. Andererseits war der Werkhof Treffpunkt und Bühne für die Menschen der Nachbarschaft. Es wurde diskutiert: über zukünftige städtische Räume, wie und von wem diese gestaltet werden wollen. So entstanden Prototypen für Schuppen, Pflanzbeete, Gartenlauben, Straßenpflasterungen, Spielgeräte, Bänke, Pavillons und vieles mehr. Sie zeigen, wie kleinteilige Alternativen etablierte Systeme infrage stellen können.
Begegnungen provozieren
Die Arbeiten von Thomas Hirschhorn thematisieren die Herausforderungen unserer Zeit. Sie handeln von Klimanotstand und Gerechtigkeit, von Konsumexzess und Entfremdung. Viele der geopolitischen Diskussionen, die der Künstler anschneidet und die wir sonst gut auf Distanz halten können, brechen in seinen Arbeiten über und auf uns ein. Wir werden Teil des hirschhornschen Kosmos, der so klar sagt, wie wichtig es ist, Position zu beziehen. Die ausgestellte Collage wirkt auf den ersten Blick seltsam nüchtern, fast entfremdet. Werte und Haltungen, nicht Lösungen, stehen im Zentrum. Einfache Antworten auf die mannigfachen Fragen suchen wir vergeblich. Vielmehr geht es um das Knüpfen von sozialen Beziehungen, das gemeinsame Handeln, das Erfinden von Praktiken, die Räume produzieren oder verändern.
Für ein zweites Leben der Architektur
In der Arbeit von Rotor und Rotor Deconstruction (RotorDC) geht es nicht um das Bauen von Gebäuden oder Städten im bisherigen Stil. Stattdessen arbeitet das Büro an Strategien des vorsichtigen Rückbaus von zum Abriss freigegebenen Häusern. Während Abrissarbeiten gerettete und wieder aufbereitete Materialien werden auf einer Website zum Verkauf angeboten. Das Spektrum ist groß und reicht von Schrankgriffen bis zu Eichenparkett, von diversen Leuchtmitteln bis Porzellanwaschbecken, von Glasbausteinen zu Bodenfliesen. Das große Ziel von Rotor ist es, das Bewusstsein für bestehende Nutz- und Vermögenswerte zu schärfen und einen rechtlichen Rahmen für die Wiederverwertung zu schaffen. Ihr Handbuch für den Rückbau von öffentlichen Gebäuden wird inzwischen von vielen Kommunen benutzt.
Wie ein Fuchs in der Stadt
Immer mehr Wildtiere leben in unseren Städten. Der Artenreichtum in urbanen Ballungsgebieten ist mittlerweile sogar größer als im Umland von Siedlungsgebieten. Mit seiner Fotoserie rückt der Künstler Tue Greenfort die Koexistenz von Mensch und Fuchs in unser Blickfeld. Er weist darauf hin, dass die zunehmende Vielfalt an tierischem Leben in den Städten uns vor neue Aufgaben stellt, denn nicht alle sind über die Kohabitation glücklich. Die Planung steht also vor großen Herausforderungen. Sie muss sich nicht nur vermehrt und wesentlich umfassender um die vielfältigen Bedarfe und Wünsche von ganz unterschiedlichen Menschen kümmern, sondern auch um diejenigen Wesen, die in Stadtentwicklungsprozessen keine eigenen Stimmen haben.
Über dem Straßenbahndepot ein genossenschaftliches Wohnprojekt
Das große, bis zu siebenstöckige Wohn- und Gewerbehaus im Zürcher Bezirk Wiedikon ist alles andere als gewöhnlich. Das Haus ist ein kleines Stück Stadt mit Kita, Arztpraxis, Bankfiliale, Programmkino, Bars, Restaurant, Blumenladen und Tramdepot. Weiterhin ist die Kalkbreite als »2000-Watt-Areal im Betrieb« zertifiziert: Durch aktive Nachhaltigkeitsmaßnahmen reduzieren die dort Wohnenden und Arbeitenden ihren energetischen Fußabdruck. Es wird gemeinsam gekocht und gegessen, Arbeitsräume werden geteilt, eine Dingbibliothek ermöglicht das Ausleihen von Geräten, und niemand hat ein eigenes Auto. Verglichen mit dem Zürcher Mittelwert liegen die dadurch erzielten Einsparungen aktuell bei etwa 50 Prozent. Die Vision der Kalkbreite soll langfristig für die gesamte Stadt gelten, um einen Beitrag zur Klimagerechtigkeit zu leisten.
Transformation statt Abriss und Neubau
Überall auf der Welt lassen sich Großwohnsiedlungen wie die Cité du Parc finden, die aus weitläufigen Landschaften in die Höhe wachsen. Quartiere wie die Cité gelten oft als »sozialer Brennpunkt«. So auch hier. In den frühen 2000ern beschloss der französische Staat Maßnahmen, um die Zukunft der Wohnscheiben zu erörtern. Hier kommt das Architekturbüro Lacaton & Vassal mit Druot ins Spiel. Das Team arbeitet schon seit geraumer Zeit an der Frage: Wie können räumliche Veränderungen so geplant und umgesetzt werden, dass sie nicht zur Verdrängung der Bewohnenden führen? So illustrieren die Arbeiten des Büros, dass Alternativen zu Abriss und Neubau existieren. Und sie definieren neue Qualitäten in Häusern, die vielen nicht verbesserungsfähig erscheinen.